Der vollständige Prozess der Meditation

von Swami Rama


In diesem Abschnitt seines Kommentars zur Bhagavad Gita gibt Swami Rama eine prägnante Beschreibung des gesamten Meditationsprozesses - vom Beginn der Praxis bis zur Selbstverwirklichung.

Literarische Quelle:
Swami Rama, Perennial Psychology of Bhagavad Gita (1985), Chapter 6: Path of Meditation.


VI.18
Verweilt der vollständig beherrschte Geist stabil allein im Selbst, gelöst von allem Verlangen, so bezeichnet man ihn als 'im Zustand des Yoga'.

VI.19
Der Geist eines Yogi im Zustand des Yoga ist vergleichbar mit einer Lampe an einem windstillen Ort, die nicht flackert.

VI.20
Wenn der Geist durch die Praxis des Yoga ruht und man das Selbst im Selbst erkennt, geht man im Selbst auf.

Selbstdisziplin

Im Yoga-sadhana ist samyama (Selbstdisziplin) wichtig. Tatsächlich ist es für die Entsagenden das Mittel, Brahman zu erreichen, für den Yogi, um samādhi zu erreichen, und für die Menschen, die mitten im Leben stehen (Haushälter), um ihre Pflichten geschickt und selbstlos zu erfüllen. Nichtanhaftung ist ein Teil dieser Disziplin. Doch es ist wichtig, dass Nichtanhaftung und Disziplin wirklich richtig verstanden werden.

Disziplin sollte nicht als Belastung oder als von Lehrern auferlegt betrachtet werden; und Nichtanhaftung sollte nicht als Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit oder mangelnde Liebe für andere aufgefasst werden.

Jene, die keine Selbstdisziplin entwickeln können, können ihre positive Wirkung nicht erfassen; sie glauben, dass Disziplin unnötig ist. Aus der Befürchtung, sie müssten auf ihre kleinen Freuden verzichten, sind sie nicht bereit, sich in solcher Weise zu schulen. Dies trifft auf jene Menschen zu, die an äußeren Dingen und an menschlichen Beziehungen anhaften, da sie diese als Krücken und als Mittel zur Befriedigung der Sinne gebrauchen. Diese Menschen haben Nichtanhaftung falsch verstanden.

Nichtanhaftung

Nichtanhaftung eröffnet den Zugang zu göttlicher Liebe und eröffnet neue Perspektiven, die uns ermöglichen zu verstehen, dass in diesem Leben höhere Freuden erlangt werden können.

In dieser Welt ist niemand zufrieden. Jeder erkennt das und nimmt es als gegeben hin. Da jedoch die meisten Menschen Angst vor dem Unbekannten haben, suchen sie nicht nach etwas Höherem. Der durchschnittliche Mensch ist sich nicht sicher, dass die Suche nach etwas Höherem ihm tatsächlich etwas Besseres geben kann, als er bereits hat. Mit sich selbst unglücklich hat er doch Angst davor, das Unbekannte zu erforschen. Unzufriedenheit und Furcht sind die zwei großen Feinde des menschlichen Wesens; sie erzeugen im Prozess der Entfaltung ein großes Hindernis. Der gewöhnliche Mensch klammert sich an seine Unzufriedenheit, da er nichts Besseres kennt.
Wäre er jedoch bereit, sich selbst zu erziehen und Nichtanhaftung zu entwickeln, könnte er schnell etwas viel Besseres finden als das, was er hinter sich lässt.

Ein Inhalt für den Geist

Wird der zerstreute Geist eines Übenden aus den Ablenkungen zum Fokus der meditativen Praxis zurückgeführt, wird der Geist stabil und einpunktig und sehnt sich nicht mehr nach äußeren Dingen, dann bezeichnet man ihn als Yogi.

Es sollte verstanden werden, was mit Objekt oder Fokus des Geistes gemeint ist. Jeder Mensch hat seinen eigenen Geist, er unterscheidet sich von der Art des Geistes anderer. Die Kapazität für Wahrnehmung und begriffliches Denken unterscheidet sich sowohl im Grad wie auch in der Qualität. Das Objekt, das einem Studierenden als Fokus der Meditation angeraten wird, ist daher von entscheidender Bedeutung. Ist der Inhalt der Praxis für den Übenden unangenehm, so kann man nicht richtig üben. Anstatt loszulassen, wird man beginnen, mit sich selber zu kämpfen. Im Geist gibt es bereits unzählige Objekte, man selbst erzeugt zahlreiche Objekte und drückt sie dann in Form von Symbolen, Ideen, Fantasien, Halluzinationen und Träumen aus.

Es stellt sich die Frage: wie kann das Hinzufügen eines weiteren Objekts hilfreich für den Geist sein? Vers 19 sagt uns, dass das Meditationsobjekt nichts anders sein sollte als Ātman, das reine Selbst. Alle Objekte, die unser Geist hervorbringen kann, sind unvollständig und unvollkommen. Dieser Meditationsinhalt jedoch ist allumfassend und der Ursprung aller anderen Inhalte.

Das führt zu einer weiteren Frage: wie kann man etwas Abstraktes, Zeitloses, Unendliches und Ewiges als Meditationsobjekt verwenden?

Der Unterschied zwischen Konzentration und Meditation

SRmed1 200rtUm Antwort auf diese Frage zu geben, muss man zwischen Konzentration und Meditation unterscheiden. Es sind zwei verschiedene Zustände und Erfahrungen auf dem inneren Weg. In der Konzentration gibt es keine Meditation, doch in der Meditation ist bereits Konzentration vorhanden. Viele Lehrer glauben heutzutage, dass Meditation ohne Konzentration erreicht werden kann. Diese Vorstellung ist irreführend. Der Geist befindet sich gewöhnlich in einem zerstreuten Zustand. Ohne die geistige Energie zu sammeln und zu konzentrieren, kann der tiefere Zustand der Meditation nicht erreicht werden.

Übende, die auch nur für eine kurze Zeitdauer an einem ruhigen und friedlichen Ort praktizieren, können etwas an ungewöhnlicher Freude erleben, obwohl sie nicht fähig sind, die tiefe Freude des meditativen Zustandes zu erfahren. Weshalb sollte man Konzentration fürchten? Manche behaupten, dass Konzentration stressvoll und anstrengend sein kann, daher sollte man es nicht praktizieren. Sie behaupten sogar, dass derartige Schulung nicht nötig ist und erfinden vereinfachte Methoden, die sie dann als Meditation bezeichnen. Solche Lehren scheinen den anspruchsvollen sadhana (Praxisweg) leichter zu gestalten, doch diese vereinfachten Methoden können nicht Zugang zu den höheren Dimensionen des Lebens ermöglichen.

Um den Geist zu sammeln, benötigt man etwas Gegenständliches: eine Form, ein Bild oder ein Symbol, das eine bestimmte Bedeutung besitzt. Abstrakte Gedanken können in einen kontemplativen Zustand führen, jedoch nicht in einen konzentrierten Zustand des Geistes. Es erfordert einen erfahrenen Lehrer, um das passende Objekt der Konzentration zu bestimmen.

Das Fließen des Atems

Zentriert man im Üben seinen Geist auf das Fließen des Atems, wird höchste Konzentration erreicht. Mit dem Atem als Fokus kann sich der Geist mit Leichtigkeit konzentrieren. Daraus ergeben sich viele Vorteile. Zum einen beginnen Geist und Atem, die eng miteinander verbunden sind, auf koordinierte Weise zu funktionieren. Fehlt die Konzentration, bleibt dieses Zusammenwirken unbewusst; es erfordert Bemühung, diese Koordination auf einer bewussten Ebene herzustellen.

Zum anderen kann man, wenn man sich auf den Atem konzentriert, vorhandene Mängel seiner Atemweise entdecken. Man wird sich der Atemmuster bewusst, die verändert werden sollten: beispielsweise unregelmäßige oder geräuschvolle Atmung, die Gewohnheit, oberflächlich zu atmen oder die Lücken zwischen Einatem und Ausatem. Diese negativen Gewohnheiten sind die Ursache vieler physischer Unausgewogenheiten und Krankheiten, die nicht medizinisch behandelt werden können.

In den meisten großen meditativen Traditionen der Welt bildet der Atem das Zentrum für den geistigen Fokus. Lehrer, die keine direkte Erfahrung mit dem Weg der Meditation haben und die keine Feinfühligkeit für das Wohlergehen ihrer Studenten besitzen, verordnen ein grobstoffliches Objekt als Fokus.

Der Atem als Inhalt der Praxis führt den Übenden zuerst in die Konzentration geleitet, die dann allmählich immer feiner wird. Folgt man dem feinen Faden des Atems, entsteht Innerlichkeit. Der Geist entwickelt die subtilen Kapazitäten und es entsteht ein alles durchdringendes inneres Gewahrsein.

Konzentration und Meditation dienen letztlich allein dazu, atman zu finden. Einpunktigkeit des Geistes ist ein dafür notwendiges Erfordernis. Während man lernt, sich auf den Atem zu konzentrieren und die Mängel in seinen Atemmustern zu beseitigen, versucht man auch, jenes Sein zu verstehen, das aus- und einatmet.

Atem und mantra

Manche Traditionen betonen in dieser Phase die Koordination von Atem und mantra. 'Mantra' ist ein Sanskritbegriff, ein Klang, eine Silbe oder eine Gruppe von Worten. Es dient als Mittel, alle Unreinheiten des Geistes zu beseitigen. Es gibt einige mantras, die beim Einatmen und Ausatmen angewendet werden können, ohne das Fließen des Atems zu stören.

Als sadhaka (Suchende/r) erreicht man in der Praxis einen Punkt, an dem man nicht nur atmet, sondern sich fortwährend in jedem Ein- und Ausatem des mantras bewusst ist. Daraus entsteht beständiges Gewahrsein des mantras. Und wenn sich die Bewusstheit des mantras weiter vertieft, wird es zum Führer des Geistes in der inneren Welt.

Dann wird der Student darin angeleitet, sich des stetig brennenden inneren Lichts bewusst zu sein. Erfährt der Geist dieses Licht, erlebt er einen erhöhten Zustand der Freude, die er zuvor nie kennengelernt hat. Dieses innere Licht ist das subtilste und für die Meditation geeignetste Objekt.

Das Licht des Bewusstseins

Ohne dieses Licht wären wir nicht dazu fähig, in der äußeren Welt irgendetwas zu sehen, zu beobachten, zu überprüfen oder zu unterscheiden. Es ist das Licht des Bewusstseins, das jetzt in konzentrierter Form erfahren wird. Der Geist beginnt, klar zu erkennen - er ist nicht mehr verhüllt. Hier werden schließlich das Licht des Bewusstseins und das mantra eines; in dieser Phase erinnert man nicht mehr das mantra, vielmehr offenbart sich seine empfundene Qualität und seine Bedeutung.

Anfangs wiederholt man das mantra auf einer eher groben Ebene, doch allmählich wird es auf subtilere Weise erfahren. Und wenn sich ein andauerndes Gewahrsein des mantras entwickelt, vereint es sich mit dem zentralen Strom des Bewusstseins, in dem Licht und Klang untrennbar verbunden sind. Dies ist der vollkommene Zustand der Konzentration.

An diesem Punkt hat man vollständige Kontrolle über den Geist erlangt und erfährt fortwährende Nähe und Einheit mit dem selbstleuchtenden atman. Hat ein sadhaka diese Kunst der Konzentration gemeistert, ist sein Geist allein auf das innere Selbst fixiert. Ein ungeschulter Geist ist zerstreut, gestört und unstet; der Geist eines sadhaka erlangt Stetigkeit. Solch ein sadhaka beherrscht und kontrolliert den Fluss der mentalen Energie, die gewöhnlich in die äußere Welt ausströmt.

Das Objekt der geistigen Praxis

Das Objekt der Konzentration sollte von Beginn an sehr sorgfältig ausgewählt werden. Es sollte erst der Atem sein, der dann später mit einem mantra koordiniert und vereint wird. Auf einer höheren Ebene ist es die Vereinigung von Klang und Licht, und im höchsten Zustand existiert nur mehr reines Bewusstsein.

Meditation ist ein innerer Therapieprozess, durch den alle Unreinheiten und Schwächen, verantwortlich für Störungen und Krankheit, beseitigt werden.

Meditative Therapie ist etwas vollständig anderes als Hypnose. Im hypnotischen Zustand wird man durch äußere Suggestion oder durch Selbstsuggestion beeinflusst, anstatt die unbekannten Dimensionen des Lebens unmittelbar zu erfahren. In der auf Hypnose beruhenden Therapie wissen weder Therapeut noch Klient, was als nächstes auftauchen wird. Sie werden von ihrem bewussten und unbewussten Geist angeleitet, jedoch nicht durch das Licht des Bewusstseins. Oftmals verliert dabei der Therapeut den Kontakt zum Klienten, und der Klient den Kontakt mit seinem Bewusstsein. Ist der Hypnotiseur nicht in der Lage, die Kontrolle über die Hypnosesitzung aufrecht zu halten, können vielerlei erschreckende Erfahrungen aus dem Unbewussten des Klienten aufsteigen. Diese Form der Therapie ist nur begrenzt anwendbar.

Die großen Therapeuten der Vergangenheit haben diese Methode aufgeben müssen; doch in letzter Zeit wurde Hypnose weiter entwickelt und kann in bestimmten Fällen erfolgreich eingesetzt werden. Praktiker der Hypnose können jedoch nie ein fundiertes Trainingsprogramm entwickeln, durch das man unabhängig zur Quelle der Weisheit und des Lichts findet. Dagegen findet man auf dem Pfad der Meditation zur Selbstverwirklichung.


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