Sieben Ströme negativer Emotionen
von Swami Rama
Auszug aus 'A Practical Guide to Holistic Health, Revised Edition' von Swami Rama -
1999, The Himalayan Institute Press.
Verlangen
Wenn man seine Emotionen erforscht, erkennt man sieben Hauptströme negativer Emotionen, die aus den vier Grundantrieben entstehen. Verlangen - kama - ist der erste dieser Ströme und zugleich Ursprung aller anderen. Damit haben wir uns bereits befasst.
Ärger, Wut
Ärger oder Wut ist der zweite Strom. Ärger ist Ausdruck einer Frustration eines Wunsches, dessen Befriedigung behindert wird. Wann immer man ärgerlich oder wütend wird, sollte man sich genau daran erinnern. Mit Wut sollte man auf andere Weise umgehen, als viele moderne Therapeuten empfehlen; sie sagen, 'Nur zu, befreie dich von deiner Wut, lass deine Aggressionen heraus.' Es stimmt: wenn man seine Wut nicht zum Ausdruck bringt, wird sie auf andere destruktive Art wirksam; um seiner Gesundheit willen kann man sie daher für den Moment ausdrücken. Doch wenn man wütend wird, wirkt sich das auf das Nervensystem aus, und in einem Wutanfall könnte man beginnen, sich wie ein wildgewordenes Tier verhalten. Wenn man ständig wütend werden würde, würde man diese Wut auch ständig ausdrücken wollen. Es würde kein Ende finden und man würde auf diese Weise eine sehr schlechte Gewohnheit entwickeln. Wut ist eine derart blinde Emotion, dass man im extremsten Fall Selbstmord oder einen Mord begehen kann. Würde man zulassen, all seine Wutimpulse auszuagieren, würde man innerhalb eines Tages im Gefängnis landen. Alle negativen Emotionen sind blind, doch Wut ist die gefährlichste von allen.
Daher ist es äußerst wichtig zu verstehen, wie man sich darin üben kann, nicht wütend zu werden. Dies ist zweifelsohne möglich, indem man lernt, seine Wünsche, sein Verlangen zu kontrollieren. Man sollte festlegen und entscheiden, welche Wünsche für die eigene Entwicklung förderlich sind, und welche Wünsche die eigene Entfaltung behindern. Um das zu ermöglichen, sollte man das Unterscheidungsvermögen (buddhi) trainieren. Dann ist man, sobald man wütend wird, fähig, die Ursache seiner Frustration und seines Ärgers herauszufinden, indem man sich hinsetzt und analysiert, was einen überhaupt wütend gemacht hat, und indem man erforscht, welche eigenen Wünsche nicht erfüllt wurden.
Stolz
Der dritte Strom negativer Emotionen, der die eigene Entwicklung behindert, entsteht, wenn ein Wunsch erfüllt wurde und daraus Stolz entsteht. 'Ich habe mir meine Wünsche erfüllt, und andere waren dazu nicht in der Lage. Schaut nur, wie großartig ich doch bin.' Stolz und Hochmut entsteht, wenn man etwas hat, das andere nicht haben und man sich dessen ständig bewusst ist.
Neid, Eifersucht
Die vierte hinderliche Emotion stellt sich ein, wenn jemand anderer das bekommt, was man sich selbst gewünscht hat, doch man selbst geht leer aus: Neid, Eifersucht. Man besitzt etwas Bestimmtes, doch jemand anderer besitzt etwas, das man als besser oder wertvoller ansieht. Wenn jemand anderer sich seine Wünsche erfüllen kann, erlebt man sich selbst als unfähig, die eigenen Wünsche zu erfüllen. Ist man voller Eifersucht und Neid, verurteilt man sich selbst und seine Unfähigkeit. Man den Kampf verloren und gibt sich geschlagen.
Anhaftung
Die fünfte negative Emotion zeigt sich, wenn man an etwas Bestimmtem anhaftet, indem man sich damit identifiziert. Derart identifiziert erkennt man dann nicht die wahre Natur dieser Sache - und zwar, dass sie vergehen wird, zerstört wird, stirbt. Ein Beispiel: ein Mann hat eine Frau; solange sie alle seine Wünsche erfüllt, hat er seine Freude mit ihr und ist zufrieden. Sobald sie aber ihre Schönheit verliert, wird er sich aufregen. Dieses Festhalten wollen an Veränderlichem nennt man Anhaftung.
Heute scheint niemand mehr den Unterschied zwischen Anhaftung und Liebe zu kennen. Anhaftung, Festhalten wollen ist selbstsüchtig; Liebe ist selbstlos. Anhaftung führt zu Unfreiheit; Liebe macht frei. Anhaftung engt das Bewusstsein ein; Liebe weitet es. Festhalten wird zur Quelle von Leiden; Liebe wird zur Quelle der Befreiung.
Wenn zwei Menschen einander begegnen, sollten sie in großer Freiheit und Freude zusammenfinden, nicht in gegenseitiger Bindung, Anhaftung und Abhängigkeit. Leiden resultiert aus Abhängigkeit, denn in solch einer Beziehung gibt es kein Geben. Die größte Freude im Leben entsteht aus Geben. Wenn zwei Menschen behaupten, einander zu lieben, doch in Wirklichkeit nur voneinander abhängig sind, entsteht das größte Chaos. Eine derartige Beziehung, die nur auf Erwartungen gründet, kann nur zu Leiden und Unglücklichsein führen. Lernt man, jemanden wahrhaft zu lieben, so wird man selbstlos und spontan handeln. Denn Liebe ist Freude am Geben - ohne die Erwartung, etwas zurückzuerhalten. Das ist der Weg zur Freiheit.
Gier
Die sechste negative Emotion entsteht aus dieser Anhaftung. Es ist der Ansporn, immer mehr und noch mehr zu wollen. Gier - dieses pervertierte Verlangen in unserer Kultur -entsteht aus Konkurrenz und Unsicherheit. Es macht eng, selbstsüchtig, ego-zentriert und kleinlich. Gierige Menschen wollen das, woran sie hängen, nicht mit andern teilen, sie wollen es für sich bewahren.
Egoismus
Die siebte negative Emotion ist die machtvollste: Egoismus. Durch Egoismus trennt man sich vom Ganzen ab, da man sich mit anderen vergleicht. Man hat Angst, dass jemand anderer besser sein könnte als man selbst. Menschen, die nichts haben, werden oftmals egoistisch, um ihre Minderwertigkeitskomplexe zu kompensieren.
Sich selbst erforschen
Man kann sich selbst analysieren, indem man diese sieben Ströme der Emotionen - Verlangen, Wut, Stolz, Anhaftung, Gier, Eifersucht und Egoismus - erforscht. Untersucht man seine Gedanken, seine Worte und seine Handlungen, kann man herausfinden, welchen emotionalen Reifegrad man bereits erreicht hat. Jede Art innerer Kontrolle ist abhängig von der Kontrolle der Emotionen. Sind die Emotionen nicht kontrolliert, so gibt es überhaupt keine Kontrolle. Kontrolle bedeutet jedoch nicht, seine Emotionen zu unterdrücken; vielmehr bedeutet es Regulierung und Gleichgewicht - im Rahmen seiner eigenen Fähigkeiten. Mittels Vernunft und Beobachtung bleibt man losgelöst von den emotionalen Schwankungen.
Man sollte einen Zustand emotionaler Reife entwickeln, der dazu befähigt, seine Emotionen positiv zu nutzen. Positive Emotionen führen zu Selbstvertrauen und Unabhängigkeit; sie regen den Geist, das Handeln und Sprechen auf freudvolle und kreative Art an.
Siehe auch:
- Antriebe und Emotionen (Yoga-Psychologie)
- Yoga-Psychologie Grafik1 (öffnet sich in einem neuen Fenster)